Nachtlied vom Streik

Er war vorm Bildschirm eingeschlafen,
Aftershave und Autoreifen
Flickerten und poppten auf,
Aschenbecher auf dem Bauch,
Träumt er auf dem Sofa vor sich hin,
Palmenstrand und Dachausbau im Sinn.
Wird wach von einem Lied, das einer singt
Und das er kennt,
Das jeder kennt.

Durch einen schmalen Augenspalt,
Da sieht er, in schwarzweiß und alt,
Hochöfen und Mietskasernen,
Blaumänner und Gaslaternen,
Rote Fahnen wehen vorm Eisenwerk,
Darüber drei Akkorde, Voice-Over,
Und der Refrain geht: Wenn dein Arm es will,
Stehen Räder still,
Alle Räder still.

Da trinkt er aus, sagt
Zu sich selbst beim Schlafengehen:
Schon klar, Hermann,
Doch ohne Streik wird das nicht gehen,
Wird gar nichts gehen.

An Band, Schuttrutsche, Packstraße,
Computermaus und Rewe-Kasse,
In der Kita, auf Station,
Für sauren Apfel, Mindestlohn,
Auf Baugerüst, Kommissionierstapler,
In Schlange, Kühlhaus und Hotspot-Lager,
An Bord des Thunfischfang-Trawler
Auf dem großen Meer,
Mitten im Meer.

Die Turnschuhmacher von Jakarta,
Die Näherinnen im Nildelta,
Kumpel in der Mongolei,
Die Eisengießer von Mumbai,
Busfahrer im Knast von Teheran,
Wanderarbeiterinnen von Sichuan,
Das Kupferschmelz-Kind ohne Geld und Gott
Auf Elektroschrott,
Berge von Schrott.

Liegt wach und sieht vor sich,
Wie die zusammenstehen
Im Streik, denn nur so,
Weiß er, wird es anders gehen,
Einmal besser gehen.

Nachmittag sitzt er, in der Hand
Ein Bier, beim Fußball, Gelbe Wand,
Allein in Elfies Grillstation
Und singt: You‘ll never walk alone.
Nach Tatort, Talkshow, Lotto, Tagesthemen
Labert ein Pfaff vom Glück und danach streben.
Die Erntehelfer im Weinberg des Herrn
Preisen die Herrn,
Der Banken Herrn.

Güterzüge rattern, quietschend
Kommt die letzte Straßenbahn zum Stehen.
Hermann knipst das Licht aus, denkt,
Verdammt, das muss doch auch noch anders gehen.
Und weiß es längst:
Denn ohne Streik wird gar nichts gehen.